Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2024 Jg. 70, Heft 3
Editorial - Viele Wege führen zum Ziel – Therapieerfolg im Spiegel individueller Strukturen und systemischer Herausforderungen
Claas Lahmann
In der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie sehen wir uns täglich mit
der Herausforderung konfrontiert, individuelle Wege zur Heilung oder zumindest
Besserung für unsere Patient:innen zu finden. Wir stehen vor der Aufgabe, nicht nur
allgemeine Behandlungsgrundsätze anzuwenden, sondern diese auch auf die spezifischen
Bedürfnisse und Bedingungen des jeweiligen Menschen zuzuschneiden. In
diesem Kontext gewinnen die Themen der Diagnostik, der patientenindividuellen
Therapieplanung und der methodischen Vielfalt zunehmend an Bedeutung. Doch
auch äußere Rahmenbedingungen beeinflussen den therapeutischen Prozess maßgeblich.
Die vorliegende Ausgabe der Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie spiegelt diese Herausforderungen und Erkenntnisse in bemerkenswerter
Weise wider – ohne dass die Beiträge gezielt zu einem Themenheft zusammengefasst
wurden.
Der erste Beitrag von Renner et al. (2024) untersucht die Rolle maladaptiver
Schemata nach Young bei der Behandlung von Patient:innen mit Panikstörung.
Die Autor:innen zeigen, dass hohe Schema-Scores, insbesondere in den Bereichen
beeinträchtigter Autonomie und Leistung, den Erfolg einer manualisierten Konfrontationstherapie
signifikant beeinflussen. Patient:innen mit hohen Schema-
Scores zeigten geringere therapeutische Erfolgsraten. Die Ergebnisse verdeutlichen,
dass Schemata nicht nur für Persönlichkeitsstörungen, sondern auch für
Achse-I-Störungen eine zentrale Rolle spielen können und somit in die Therapieplanung
einbezogen werden sollten.
Die zweite Arbeit von Juen et al. (2024) richtet den Fokus auf die Charakteristika
von Patient:innen in einer psychodynamischen Aus- und Weiterbildungsambulanz.
In einer Untersuchung von 421 Patient:innen analysieren die Autor:innen die soziodemografischen
Merkmale, die psychodynamischen Dimensionen und die Symptomatik
dieser Patientengruppe. Die hohe Rate an Vorbehandlungen und die relevante
Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen weisen auf eine psychisch stark beeinträchtigte
Klientel hin, was für die Gestaltung und Durchführung von Ausbildungsprogrammen
in der Psychotherapie bedeutsam ist.
Im dritten Beitrag von Wolf et al. (2024) wird die Wirksamkeit einer DBT-basierten
tagesklinischen Behandlung für Patient:innen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
untersucht. Die Studie zeigt, dass diese Behandlungsform zu signifikanten
Verbesserungen in verschiedenen Symptombereichen führt, insbesondere bei der
globalen Psychopathologie. Die Ergebnisse deuten jedoch auch darauf hin, dass es
durchaus Grenzen für den Ansatz einer kurativen Behandlung bei komplexen Störungsbildern
wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung gibt. Die Studie hebt zudem
hervor, dass störungsspezifische und unspezifische Symptome unterschiedlich
stark auf die DBT ansprechen, was die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung
der Therapieergebnisse unterstreicht.
Henkel et al. (2024) beleuchten in ihrem Beitrag die Veränderungen in der Konfliktpathologie
während einer stationären psychodynamischen Psychotherapie und
deren Zusammenhang mit der Symptomreduktion. Die Ergebnisse zeigen, dass signifikante
Veränderungen in der Konfliktausprägung zu einer stärkeren Symptomreduktion
führen. Diese Erkenntnis stützt die psychodynamische Theorie, wonach
die Bearbeitung unbewusster Konflikte eine zentrale Rolle für den therapeutischen
Fortschritt spielt. Interessanterweise zeigt die Studie auch, dass bestimmte Konfliktthemen
eine gewisse Stabilität aufweisen, was für die langfristige Therapieplanung
und die Erwartungen an den Therapieerfolg von Bedeutung ist.
Der abschließende Beitrag von Engesser et al. (2024) thematisiert die Belastungen
und Grenzen, die Psychotherapeut:innen nach der Reform der Psychotherapie-
Richtlinie im Jahr 2017 erleben. Die Autor:innen zeigen auf, dass eine Mehrheit der
befragten Therapeut:innen über erhöhte Belastungen berichtet, die sich vor allem in
Zeitdruck, Stress und der Ablehnung von Patient:innen äußern. Besonders betroffen
sind Therapeut:innen mit halber Kassenzulassung und solche, die Verhaltenstherapie
anbieten. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die äußeren Rahmenbedingungen
erheblichen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und die psychische Gesundheit
der Therapeut:innen haben können, was wiederum die Qualität der therapeutischen
Versorgung beeinflussen kann.
Schließlich beleuchten Klein und Etzler in ihrem Blick in die Zeitschriften noch einen
spannenden und entsprechend gut publizierten Vergleich zwischen dem alternativen
Modell für Persönlichkeitsstörungen und dem Modell der Sektion II im Hinblick
auf die Vorhersage von Patientenergebnissen ein Jahr nach der Behandlung.
Die Beiträge dieser Ausgabe betonen eindrücklich die Bedeutung einer individuellen
Gestaltung psychotherapeutischer Interventionen unter Berücksichtigung spezifischer
Merkmale und Bedürfnisse der jeweiligen Patient:innen. Sie erinnern uns
daran, dass der Erfolg psychotherapeutischer Behandlungen nicht nur von der angewendeten
Methode, sondern in hohem Maße auch von der Passung zwischen den
individuellen Charakteristika der Patient:innen und dem gewählten Therapieansatz
abhängt. Zu dieser Passung gehören nicht zuletzt auch die Bedingungen, unter denen
wir arbeiten.
Die Ergebnisse aller hier vorgestellten Studien regen dazu an, in der klinischen
Praxis verstärkt auf eine fundierte Diagnostik und eine darauf aufbauende individualisierte
Therapieplanung zu setzen.
Ich wünsche Ihnen eine anregende und bereichernde Lektüre!
Ihr Claas Lahmann
Literatur
Engesser, D., Singer, S., Kemmerer, P., Paul, R., Petermann-Meyer, A., Reuter, K., Dotzauer, L.
(2024). Belastung(sgrenz)en für Psychotherapeut:innen nach der Reform. Z Psychosom
Med Psychother, 70, 283-296.
Henkel, M., Benecke, C., Volz, M., Cropp, C., Spitzer, C. (2024). Veränderungen in der Konfliktpathologie
während stationärer Psychotherapie und ihr Zusammenhang mit Symptomreduktion.
Z Psychosom Med Psychother, 70, 266-282.
Juen, F., Vierl, L., Hörz-Sagstetter, S. (2024). Patientencharakteristika an einer psychodynamischen
Aus- und Weiterbildungsambulanz. Z Psychosom Med Psychother, 70, 228-243.
Renner, V., Henker, J., Joraschky, P., Keller, A., Petrowski, K. (2024). High Young schema levels
predict manualized confrontation therapy outcome in patients with panic disorder. Z Psychosom
Med Psychother, 70, 212-227.
Wolf, K., Noack, R., Keller, A., Weidner, K. (2024). Wirksamkeit und Grenzen einer DBT-basierten
tagesklinischen Behandlung für Patient:innen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Z Psychosom Med Psychother, 70, 244-265.
Claas Lahmann, Klinik der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum
Freiburg