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Profil & Perspektiven

"Die Psychosomatik ist ein Fachgebiet mit Zukunft. Es eröffnet jungen Ärztinnen und Ärzten glänzende berufliche Aussichten in einem Arbeitsfeld mit hoher Arbeitszufriedenheit."

“Angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen, der Zunahme psychischer, psychosomatischer aber auch arbeitsplatzbedingter Störungen und ihrer wachsenden sozialmedizinischen Bedeutung sowie dem vermehrten Wissen über biopsychosoziale Zusammenhänge in der Entstehung und dem Verlauf somatischer und psychischer Störungen stellt der weitere Ausbau des Fachgebiets eine Antwort auf diese Entwicklungen dar. Mit dem Fortschreiten der Technisierung und Fragmentierung in weiten Bereichen der medizinischen Versorgung kommt dem Fach immer mehr die Aufgabe zu, Anwalt für das »Subjekt in der Medizin« zu sein und in kooperativen Versorgungsstrukturen einen Gesamtbehandlungsplan für den Patienten zu entwerfen. […] Die Psychosomatik ist ein Fachgebiet mit Zukunft. Es eröffnet jungen Ärztinnen und Ärzten glänzende berufliche Aussichten in einem Arbeitsfeld mit hoher Arbeitszufriedenheit.”

Kruse J., Beutel M., & Herzog W. (2012). Quo vadis psychosomatische Medizin und Psychotherapie. In W. Herzog, M. E. Beutel, & J. Kruse (Hrsg.), Psychosomatische Medizin und Psychotherapie heute – zur Lage des Fachgebietes in Deutschland (S. 103-118). Stuttgart: Schattauer.

Das Fachgebiet

Psychosomatische Medizin ist in Deutschland nicht nur eine Facharztdisziplin sondern als Querschnittsfach auch integraler Bestandteil vieler anderer klinischer Fächer. Das Spezifikum der Psychosomatischen Medizin ist die integrierte Versorgung von affektiven, Belastungs- und somatoformen Störungen, Essstörungen sowie psychischen Störungen in Verbindung mit oder in Folge von (chronischen) körperlichen Erkrankungen (bspw. Psychoonkologie und -kardiologie) und Persönlichkeitsstörungen. Störungs- bzw. Krankheitsverständnis, Diagnostik und Behandlung folgen dem biopsychosozialen Modell (Engel, Science, 1977; Fava & Sonino, Psychotherapy & Psychosomatics, 2017). Dieses beinhaltet eine anthropologische Perspektive auf den Kranken, die dessen Leiden als Ergebnis körperlicher, seelischer und sozialer Wechselwirkungen in seiner Lebenswelt versteht. Zu einem personalisierten und umfassenden Fallverständnis erfolgt regelhaft eine biopsychosoziale Simultandiagnostik und -therapie. In der klinischen Behandlungspraxis kommt der Psychotherapie eine besondere Bedeutung zu.

Berufliche Perspektiven - einige Überlegungen Vorweg

  • Zentrale Fähigkeiten, die im Fachgebiet erworben werden können, sind: Teamkompetenz, Schnittstellenmanagement, komplexe Problemlösekompetenz und psychosomatisch-psychotherapeutische Kompetenz.

  • Die Tätigkeitsfelder beinhalten Krankenversorgung, Wissenschaft und Weiterbildung bzw. Lehre.

  • Die Karrierechancen sind insbesondere in der Wissenschaft ausgezeichnet.

  • Der Fachärztin/dem Facharzt eröffnen sich vielfältige berufliche Möglichkeiten im ambulanten oder stationären Bereich mit sehr guten Aufstiegschancen.

  • In der Krankenversorgung sind die Patienten vergleichsweise jünger (im Mittel 43,2 Jahre) als in vielen anderen Bereichen der Medizin.

  • Die Fachgesellschaften und berufspolitischen Verbände vertreten die Interessen des Fachgebietes gegenüber dem Gesetzgeber, dem Gesundheitsministerium, der Bundesärztekammer und den Landesärztekammern bezüglich der Weiterbildungsordnung und den Versorgungsstrukturen.

Ambulanter Bereich

  • Die Verdienstmöglichkeiten sind durchaus vergleichbar mit denen anderer niedergelassener Ärztinnen bzw. Ärzte (bspw. der Hausärzte). In der offiziellen Statistik der Krankenversicherungen wird das nicht so abgebildet, da die Aspekte der Teilzeittätigkeit und die zusätzlichen, KV-unabhängigen Einnahmequellen über bspw. Supervisionstätigkeit, Hintergrunddienste, Dozententätigkeit (Psychosomatische Grundversorgung, Balintgruppen) nicht erfasst werden.
  • In den letzten Jahren erfolgte eine deutliche Verkürzung der Behandlungsdauer ambulanter Psychotherapie auf im Mittel 48 Sitzungen bei annähernd gleicher Behandlungsdauer  in den Grundverfahren Verhaltenstherapie (spezifisch: Phobien, symptombezogene Kurzzeittherapien) und tiefenpsychologischer  Psychotherapie (spezifisch: strukturorientierte Persönlichkeitsveränderung, interpersonelle Wirksamkeit) bei ähnlicher Effektstärke der beiden Verfahren (DKV-Studie).

  • Es existieren zwei Praxismodelle: (1) Ärztlich-psychotherapeutische Praxis mit ca. 100 Patienten/Jahr oder (2) Versorgungspraxis mit ca. 450 Patienten/Jahr), welcher die Hausärztin/der Hausarzt Patienten konsiliarisch zur Differentialdiagnostik und Aufbau von Therapiemotivation sowie ggf. Planung einer Psychotherapie zuweist.

  • Berufsverbände vertreten die Interessen der niedergelassenen Fachärztinnen bzw. Fachärzte.

Stationärer Bereich

  • Vor dem Hintergrund hoher Therapieeffekte, nachhaltig positiver Auswirkungen auf Lebensqualität (bspw. im interpersonellen und beruflichen Bereich) sowie gesundheitsökonomischer Effizienz werden derzeit die Bettenkapazitäten im Bereich der Psychosomatischen Medizin weiter ausgebaut.

  • Die Strukturen unterscheiden sich nach Zielsetzung und Versorgungsstufe von Abteilungen und Kliniken:

    • Abteilungen an Universitätskliniken leisten Schwerpunkt- und spezialisierte Versorgung sowie Grundlagen- und klinische Forschung und Lehre.

    • Größere Fachkliniken mit überregionalem Einzugsgebiet sind häufig spezialisierte Einheiten für bestimmte Störungen (bspw. Essstörungen, Schmerzstörungen, Traumafolgestörungen, Persönlichkeitsstörungen).

    • Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern mit regionalem Versorgungsangebot verfügen neben einem begrenzten Bettenkontingent (durchschnittlich 9 bis 36 Betten) über Konsiliar-/Liaisondienste, die eine frühzeitige Identifikation, Motivation und Erstbehandlung von Patienten mit psychosomatischen und somatopsychischen Störungen in Nachbarabteilungen ermöglichen.

    • Es existieren auch reine Konsiliar- und Liaisonabteilungen sowohl an Allgemeinkrankenhäusern als auch an Universitäten.

    • Viele psychiatrische Fachkrankenhäuser führen Abteilungen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

    • Schließlich gibt es eine größere Zahl an Privatkliniken für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Weitere Tätigkeitsbereiche

  • Fachkliniken für psychosomatische Rehabilitation

  • Forschung (Grundlagenforschung, klinische Forschung, Versorgungsforschung) und/oder Lehre an Medizinischen Fakultäten

  • Psychosomatik im Kinder- und Jugendlichenalter

  • Prävention und arbeitsplatzbezogene psychosomatische Interventionen

HISTORISCHE ENTWICKLUNG

Deutschland stellt weltweit das Land dar, in dessen Gesundheitssystem Psychosomatische Medizin am stärksten verankert ist. Dies ist zunächst das Ergebnis einer historischen Entwicklung, die – wie in Nordamerika – ihren Anfang zum einen in der Anwendung der Psychoanalyse innerhalb der Medizin hatte. Dabei erwiesen sich im Verlauf viele der psychogenetischen Annahmen linear-kausaler Verbindungen zwischen intrapsychischen Konflikten und körperlichen Beschwerden als unzureichend. Zum anderen war die Integrierte Psychosomatische Medizin in der Inneren Medizin selbst, die das Zusammenwirken von Körper und psychischem Erleben fokussierte, ein zweiter wichtiger Entwicklungszweig des Faches Psychosomatische Medizin. Innerhalb der Integrierten Psychosomatischen Medizin wurde angenommen, dass reziproke Beziehungen zwischen Psyche, Körper und Umwelt bestehen, die in einer Verkörperung zum Ausdruck kommen. Damit sollte der Kranke wieder zum Subjekt angesichts eines biomedizinischen Reduktionismus kartesianischer Prägung werden, der die Medizin im Zuge der wissenschaftlichen Errungenschaften vor allem des 19. Jahrhunderts kennzeichnete.

Anstoß für beide Entwicklungszweige war das Aufkommen von mehr oder weniger unmittelbar beobachtbaren Traumatisierungen bzw. somatoformen Störungen im Zuge der beiden Weltkriege. In Heidelberg entwickelte sich ausgehend von den Internisten Ludolf von Krehl („Wir behandeln nicht Krankheiten, sondern kranke Menschen“) und seinem Schüler Viktor von Weizsäcker eine anthropologische Tradition innerhalb der Inneren Medizin. Im Jahr 1927 wurde die erste psychosomatische Klinik in Berlin eröffnet, 1929 folgte die erste psychosomatische Station an einer Universitätsklinik (sog. Neurosenstation in Heidelberg). Etwa zur gleichen Zeit wurde die Allgemeine Ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie gegründet, der sowohl Tiefenpsychologen wie etwa C. G. Jung als auch Psychosomatiker wie Viktor von Weizsäcker und Psychiater wie Ludwig Binswanger angehörten. Während des Nationalsozialismus mussten jedoch viele namhafte Psychotherapeuten emigrieren, sodass die Entwicklung des Faches stagnierte.

Erst 1950 begann daher die Etablierung der Psychosomatischen Medizin als akademisches Fach, als Viktor von Weizsäcker gemeinsam mit seinem, zwischenzeitlich durch die Nationalsozialisten inhaftierten, Assistenten Alexander Mitscherlich, unterstützt durch die Rockefeller Foundation, in Heidelberg eine erste Psychosomatische Klinik an einer Universität gründen konnte. In den Jahren bis 1965 folgten weitere Lehrstühle für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Freiburg, Gießen, Hamburg und München. 1967 wurde – auf Hinwirken der psychoanalytischen Fachgesellschaften und verschiedener Internisten und Psychiater aber auch der verfassten Hausärzteschaft – Psychotherapie in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen. Anfang der 1970er Jahre fand Psychosomatische Medizin sukzessiv Eingang in akademische Curricula. Heute existieren in Deutschland 26 eigenständige Kliniken/Abteilungen für Psychosomatische Medizin an 38 medizinischen Fakultäten. 1974 erfolgte die Gründung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), u.a. durch Thure von Uexküll, Peter Hahn und Adolf Ernst Meyer. Das DKPM versteht sich als interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft und führt seit 2005 das Qualifizierungsprogramm Klinische Forschung in der Psychosomatik zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch. Schließlich beschloss der Ärztetag 1992 die Einführung des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Noch im selben Jahr wurde die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) gegründet, die sich 2005 mit der Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie zusammenschloss und in der heute vorwiegend niedergelassene Fachärzte organisiert sind.

PSYCHOSOMATISCHE MEDIZIN HEUTE

Spätestens mit der Einführung des Facharztes 1992 hatte sich Psychosomatische Medizin in Deutschland als eigenständiges und unabhängiges Fachgebiet neben einer traditionell eher psychopathologisch beschreibenden und vorwiegend biologisch und psychopharmakologisch orientierten Psychiatrie etabliert. Die fünfjährige Facharztweiterbildung in Psychosomatischer Medizin und Psychotherapie beinhaltet u.a. 240 Stunden Theorie sowie mehr als 1000 Stunden supervidierte Psychotherapie. Die Tatsache, dass Psychosomatische Medizin nicht nur ein Spezialgebiet, sondern auch ein alle Bereiche der Medizin umgreifendes Querschnittsfach darstellt, schlägt sich in den seit 1993 neben dem Facharzt existierenden zwei weiteren Ebenen der ärztlichen Weiter-/Fortbildung sowie der psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung nieder: Die 80-stündige Fortbildung Psychosomatische Grundversorgung steht als Basisversorgung allen somatisch tätigen Fachärzten offen und ist mittlerweile Pflichtteil der allgemeinmedizinischen und gynäkologischen Weiterbildung. Die Zusatzbezeichnung Psychotherapie steht als intermediäre Qualifikationsstufe ebenfalls allen Fachärzten offen, hat jedoch im Vergleich zur Grundversorgung einen deutlich größeren Umfang.