Direkt zum Inhalt wechseln

Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland ist besser als vermutet

Große Umfrage zu Wartezeiten und Therapie-Effekten
29.02.2024

Berlin, Februar 2024 – Mehr als 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten, die eine psychotherapeutische Behandlung suchen, führen nach eigenen Angaben innerhalb von drei Monaten ein Erstgespräch und beginnen in diesem Zeitraum mit regelmäßigen Sitzungen. Diese Wartezeit halten zwei Drittel der Betroffenen für kurz oder angemessen, wie eine großangelegte Befragung unter 2.200 Therapiesuchenden zeigt. Die häufigsten Gründe für eine Psychotherapie sind gedrückte Stimmung, gefolgt von Angststörungen, psychosomatischen Beschwerden und der Bewältigung schwerer Belastungen. Die Ergebnisse der Umfrage erläuterte ein Experte auf der heutigen Online-Pressekonferenz im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Jedes Jahr nehmen in Deutschland 2,1 Millionen Menschen Kontakt zu einem der mehr als 39.000 niedergelassenen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf. Zum Vergleich: In Deutschland praktizieren 55.000 Hausärztinnen und Hausärzte, 13.000 Frauenärztinnen und Frauenärzte sowie 8.000 Kinderärztinnen und Kinderärzte. „Deutschland verfügt somit über ein sehr umfassendes psychotherapeutisches Versorgungssystem“, sagt Professor Dr. med. Johannes Kruse. „Dennoch werden immer wieder Versorgungsengpässe angemahnt, da die Wartezeit auf eine ambulante Psychotherapie als zu lang beschrieben wird“, berichtet der Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg.

Doch wie lang müssen Patientinnen und Patienten tatsächlich warten, bis sie Hilfe erfahren? Darauf sollte die ES-RiP-Studie („Evaluation der Strukturreform der Richtlinien-Psychotherapie“) eine Antwort geben. Zu diesem Zweck wurde eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe von 32.573 Personen telefonisch befragt, ob sie in den Jahren 2012 bis 2020 einen persönlichen Kontakt zu Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gesucht haben – dies traf auf etwa 2.200 Personen zu. Davon gelang es 91,7 Prozent, wie die weitere Befragung ergab, mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten ein Gespräch in Präsenz zu führen, wohingegen bei 8,3 Prozent der Therapiesuchenden kein Erstkontakt erfolgte. „Bei jedem Fünften dieser 8,3 Prozent hatten sich die Probleme spontan gelöst, bei den übrigen konnten Therapeutin oder Therapeut keinen Gesprächstermin anbieten, die Wartezeit wurde als zu lang empfunden oder es bestand eine eigene Unsicherheit über die Notwendigkeit der Psychotherapie“, berichtet Kruse, der die Studie leitete.

Was die Wartezeit auf ein Erstgespräch betrifft, so belief sie sich bei 90 Prozent der Therapiesuchenden auf unter drei Monate. „Zwei Drittel bewerteten diese Spanne als kurz oder angemessen“, berichtet DGPM-Experte Kruse. Fand ein Erstgespräch statt, erfolgte in 84 Prozent der Fälle auch eine Psychotherapie. Auch hier zeigte sich: Die berichtete Wartezeit vom Erstkontakt bis zur Aufnahme regelmäßiger Psychotherapietermine betrug bei 96 Prozent der Patientinnen und Patienten weniger als drei Monate. Der überwiegende Teil der Betroffenen (85 Prozent) war mit dieser Wartezeit zufrieden.

Die von den Patientinnen und Patienten beschriebene Wartezeit ist somit kürzer als die anhand der Daten der BARMER Krankenkasse ermittelte Wartezeit von 112 Tagen. „Das mag auch damit zusammenhängen, dass zwischen dem Erstkontakt und der Aufnahme der Richtlinienpsychotherapie eine Reihe von ärztlichen oder psychologischen Leistungen erfolgt, die die Patientinnen und Patienten bereits der Psychotherapie zuordnen“, erläutert Kruse. „So findet nach dem Erstgespräch eine biographische Anamnese statt, um die Therapie vorzubereiten, vielleicht folgen auch schon einige Akuttherapiesitzungen“, erläutert der DGPM-Experte. „Die Patientinnen und Patienten haben das Gefühl, dass etwas passiert.“

Gedrückte Stimmung war mit 97,5 Prozent der häufigste Grund, eine Psychotherapie aufzusuchen. Es folgten Angststörungen (52 Prozent), psychosomatischer Beschwerden (50,6 Prozent) und die Bewältigung schwerer Belastungen (45,3 Prozent) – Mehrfachnennungen waren möglich. Der überwiegende Teil der Patientinnen und Patienten suchte die Psychotherapie in Eigenregie auf, gefolgt von der Überweisung durch Haus- und Fachärzte sowie durch persönliche Empfehlungen von Freunden, Familie oder Bekannten. Mit den Ergebnissen der Psychotherapie waren 87 Prozent der Befragten sehr zufrieden. „89 Prozent berichten, dass es ihnen nach der Behandlung viel oder etwas besser geht“, sagt Kruse.

Auf Basis der Studienergebnisse zieht der DGPM-Experte eine positive Bilanz. „Die meisten Patientinnen und Patienten sind mit der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland hoch zufrieden – sowohl in Bezug auf die Therapie-Effekte als auch mit Blick auf die Wartezeit, die kürzer ist als oft vermutet“, resümiert Kruse. Nur bei zwei Punkten besteht Handlungsbedarf, wie die Studie ebenfalls aufzeigt. Eine kleinere Gruppe scheitert in dem Bemühen, einen Therapieplatz zu bekommen. „Zum anderen sind körperlich chronisch kranke Menschen, die zusätzlich unter einer psychischen Störung leiden, zu selten in psychotherapeutischer Behandlung“, erklärt Kruse. Diese Risikogruppe sei von einer erhöhten Sterblichkeit bedroht. „Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, um zu klären, mit welchen Versorgungsangeboten wir diese beiden Patientengruppen erreichen“, stellt Kruse fest.

Bei Abdruck Beleg erbeten.

 

Kontakt für Journalist*innen:

Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Pressestelle
Kerstin Ullrich
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-641
ullrich@medizinkommunikation.org