Ausgabe 01/2023
Anmoderation M. Neises-Rudolf
Heft 1/2023
Ärztliche Psychotherapie zum Schwerpunkt „Angst“
Herausgeber: Prof. Dr. med. Volker Köllner, Teltow, und Prof. Dr. med. Manfred Beutel, Mainz
Die Herausgeber nehmen in ihrem Editorial bezug auf das Heft 1/2007 – das dritte Heft der Zeitschrift überhaupt, mit einem Schwerpunktthema von Volker Köllner und des Herausgebers Sven Olaf Hoffmann, zu der Zeit Mainz. Insofern schließen sich die Kreise und zeigen gleichzeitig 15 Jahre Weiterentwicklung des Faches mit dem Eindruck, „dass unser Fach sich inzwischen deutlich intensiver und auf einem breiteren Spektrum mit dem Phänomen Angst und Angsterkrankungen auseinandersetzt“. Die aktuelle Ausgabe und ein weiteres Schwerpunktheft (zur COVID-19-Pandemie) machen auch deutlich, wie sehr Angst näher an unsere Lebensrealität herangerückt ist. So spiegeln die Inhalte dieses Heftes die gesellschaftliche Dimension des Themas, die individuelle Bedeutung auch im Kontext chronischer Erkrankungen sowie geschlechtsspezifische Ausprägungen und verschiedene therapeutische Zugänge.
Das Titelbild „Mohnblumen vor dem dunklen Himmel“ hat Lisa Grub, Psychotherapeutin, auf den ehemaligen Schlachtfeldern von Arras (Westfront im ersten Weltkrieg 1917) fotografiert, ein „Symbol des Erinnerns an einem Ort, an dem einmal viel Angst war“.
Der erste Beitrag dieses Heftes »Klima-Angst und ökologischer Notfall« von Lea Dohm, Fabian Chmielewski, Felix Peterund Mareike Schulze verdeutlicht einen aktuellen Angstauslöser. Der Begriff der Klima-Angst wird in den größeren Zusammenhang der ökologischen Krisen eingebettet und präzisiert i. S. von Angst im Zusammenhang mit den ökologischen Krisen, diese betreffen Biodiversität, Extremwetterereignisse und mehr. Es werden Implikationen für den psychotherapeutischen Behandlungsalltag sowie das Selbstverständnis unserer Berufsgruppe dargestellt, d. h. dieses Thema betrifft uns alle.
Der Fokus des Beitrags von Thomas Steger liegt – neben den Angsterkrankungen nach ICD-10 – auf der bei vielen Patient:innen zu beobachtenden ängstlichen Verarbeitung von Alltagsproblemen oder Krankheitssymptomen. Typische Fallstricke beim rechtzeitigen Erkennen von Angsterkrankungen in der Allgemeinarztpraxis werden beschrieben und mithilfe von Fallbeispielen anschaulich erläutert. Empfehlungen für das therapeutische Gespräch werden gegeben.
Es folgen zwei Beiträge aus unterschiedlichen therapeutischen Orientierungen: Manfred E. Beutelund Jürgen Wiltink beschreiben ein manualisiertes psychodynamisches Vorgehen bei der Behandlung von Angststörungen. Jeanette Villanueva stellt den Einsatz der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) bei Angststörungen vor.
Zwei weitere Beiträge setzen sich mit Ängsten bei körperlichen Erkrankungen auseinander. Sonja Wedegärtner und Volker Köllner beschreiben das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei Herzangst, die sowohl bei Herzgesunden als auch bei organisch Herzkranken auftreten kann. Ebenso bedeutsam wie in der Kardiologie sind Angsterleben und Angststörungen in der Onkologie – für Betroffene, Angehörige sowie Behandler:innen. Eva-Maria Skoda, Sheila Geiger und Martin Teufel vermitteln in ihrem Beitrag »Die Furcht, die Angst und der Krebs« das Wissen um gezielte Therapieangebote im Rahmen von psychoonkologischen Versorgungsstrukturen.
Mechthild Neises-Rudolf und Astrid Bühren widmen sich in ihrem Beitrag den Genderaspekten der Angst. Ausgangspunkt ist hierbei ein unterschiedliches Gesundheitsverständnis von Männern und Frauen – was auch zu einer unterschiedlichen Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und einem unterschiedlichen Gesundheitsverhalten führt.
Bei depressiven Störungen hat Sport- und Bewegungstherapie einen hohen Stellenwert gewonnen – auch dank einer zunehmend besseren Evidenzbasierung. Simon Kieffer und Hedda Lausberg geben einen systematischen Überblick über Evidenz und Wirkmechanismen sportlicher Aktivität bei der Prävention und Behandlung von Angststörungen und zeigen, dass hier eine noch zu wenig genutzte therapeutische Ressource liegt.
Abgerundet wird das Heft durch einen »Off-Topic«-Beitrag von Steffen Häfner: »Ingeborg Bachmann als Rezipientin von Georg Groddeck«. Ingeborg Bachmann litt ihr ganzes Leben unter massiven Ängsten, die zu ihrer Barbituratabhängigkeit und ihrem frühen Tod beitrugen. Diese Ängste veranlassten sie aber auch, sich sowohl essayistisch als auch poetisch intensiv mit der Psychosomatik Georg Groddeks auseinanderzusetzen und in Eigenregie Wege aus der Abhängigkeit zu suchen.
Die Rubrik »Politik und Praxis« fasst lesenswerte Inhalte zusammen, so stellt Giovanni Fava in „Favas-Feder“ wieder eine interessante und kritisch-reflektierte Fallgeschichte vor, mit der Pointe eines zur „Selbsttherapie“ ausgestellten Rezeptes. Mit der Wut setzt sich Kamiar Rückert in seinem Beitrag »Wut oder die Waffe der Erniedrigung« auseinander. In der ärztlichen Praxis ist diese Emotion präsent, sie sollte genutzt werden und Patient:innen zu neuen Beziehungserfahrungen verhelfen. Ein dritter Beitrag widmet sich dem Post-COVID-Syndrom. Im August erschien darauf bezogen die erste Überarbeitung der S1-Leitlinie, in der die Psychosomatik einen deutlich höheren Stellenwert hat – ebenso wie die Bewegungstherapie. Katharina Hof stellt ihre Perspektive auf die Facharztweiterbildung Psychosomatik dar – und gleichzeitig stellt sie die »Perspektive Psychosomatik« vor, wie die Vertretung der Ärzt:innen in Weiterbildung und der an Psychosomatik interessierten Studierenden nun heißt.
Wie immer gibt es die ausführlichen Mitteilungen aus den Fachgesellschaften: DGPM, VPK und BPM. Diese Verbandsnachrichten wie auch das Editorial sind frei zugänglich unter folgendem Link: https://elibrary.klett-cotta.de/journal/aep/18/1
Den Abschluss bildet eine Buchbesprechung zum Thema „Klimagefühle“ von Lea Dohm und Mareike Schulze, last not least der Veranstaltungskalender und der Ausblick auf die nächste Ausgabe 2/2023 zum Thema: Gruppenpsychotherapie.
Die Herausgeber wünschen zusammen mit der Schriftleitung und allen Autor:innen unseren Leser:innen eine anregende Lektüre.