Direkt zum Inhalt wechseln

Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2024 Jg. 70, Heft 4

Ein weites Feld
13.02.2025
Bundesverband
Stephan Doering

Stephan Doering

Das vorliegende Heft zeigt einmal mehr, wie breit das Fach Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie angelegt ist. Wir finden Psychotherapieforschung bezogen
auf Inhalt, Prozess und Outcome, wobei mixed methods, also die Kombination von
qualitativen und quantitativen Strategien schon fast als state-of-the-art angesehen
werden kann.

Am Beginn steht ein völlig neu konstruierter Fragebogen zur Erfassung von Abwehrmechanismen
aus einer Berliner Arbeitsgruppe um Leonie Kampe und Susanne
Hörz-Sagstetter (Kampe et al., 2024). In seiner Endversion umfasst der Fragebogen
28 Abwehrmechanismen, die vier Skalen zugeordnet werden. Die Skalen wiederum
bilden verschiedene Reifegrade der Abwehr ab. Die ersten Validierungsschritte
des Instruments weisen auf zufriedenstellende Gütekriterien hin, sodass das
Repertoire klinischer und wissenschaftlicher Diagnostik der Abwehr um ein wichtiges
Instrument erweitert werden könnte.

Aus Freiburg kommt eine hochinteressante Studie zum Thema des Schweigens in
der Therapiesitzung (Ahn et al., 2024). Es zeigte sich, dass Schweigephasen in online
Sitzungen ebenso wie in face-to-face Sitzungen auftreten, und dass Schweigephasen
mehr von der therapeutischen Dyade und dem Therapieprozess als vom Setting abhängen.
Borchers et al. (2024) haben sich mit einer qualitativen Methodik der Frage gewidmet,
welche Relevanz dem Thematisieren des Arbeitsplatzes und damit verbundener
Schwierigkeiten von verhaltenstherapeutischen Ausbildungskandidat:innen
zugeschrieben wird. Es zeigte sich, dass Arbeitsplatzbezug vor allem dann hergestellt
wird, wenn in diesem Zusammenhang von den Patient:innen Probleme berichtet
werden. Die Autorinnen legen nah, dass dem Thema grundsätzlich mehr
Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Einen bemerkenswerten Survey haben Heller et al. (2024) durchgeführt, die in einer
repräsentativen Stichprobe von 2.075 Personen knapp 8 % fanden, deren Eltern
zur Zeit des II. Weltkriegs Opfer von Vertreibung geworden waren. Es zeigte sich,
dass diese Nachfahren Vertriebener ein erhöhtes Suizidrisiko aufwiesen. Dies hebt
zum einen die Bedeutung einer detaillierten psychosozialen Anamnese hervor und
weist zum anderen darauf hin, dass bei Nachfahren vertriebener Menschen Augenmerk
auf die Suizidalität geworfen werden sollte.

Den Abschluss des Heftes macht das Protokoll einer großangelegten randomisiert-
kontrollierten Wirksamkeitsstudie zur Katathym-imaginativen Psychotherapie
(KIP) (Sell et al., 2024). Es handelt sich um einen non-inferiority trial der KIP
im Vergleich zu einem Unified Psychodynamic Protocol. Darüber hinaus wird ein
qualitativer Studienanteil angefügt.

Im Lichte der Reichhaltigkeit dieser Beiträge bleibt uns allen zu hoffen, dass auch
die globale Zukunft mehr von Neugier, Optimismus und echtem Forschungsgeist
geprägt sein möge als von Zerstörung, Ausgrenzung und Pessimismus.

hnen allen eine hoffnungsfrohe Weihnachtszeit.
Ihr Stephan Doering

Literatur
Ahn, J., Scheidt, C. E., Lahmann, C. (2024). Schweigen in der videobasierten Psychotherapie
– eine Pilotstudie. Z Psychosom Med Psychother, 70, 328-342.
Borchers, P., Muschalla, B., Grocholewski, A. (2024). Eine qualitative Unteresuchung des Arbeitsplatzbezugs
im Rahmen der interdisziplinären Versorgung von Arbeitnehmenden mit
psychischen Beschwerden. Z Psychosom Med Psychother, 70, 343-358.
Heller, A., Beutel, M. E., Brähler, E., Ernst, M. (2024). Erhöhtes Risiko für Suizidversuche bei
Nachkommen von Vertriebenen – Ein epidemiologischer Beitrag zur Untersuchung transgenerationaler
Folgen von Fluchterfahrungen. Z Psychosom Med Psychother, 70, 359-370.
Kampe, L., Bohn, J., Remmers, C., Caesar, L., Schnabel, K., Heitmann, I., Hörz-Sagstetter, S.
(2024). Fragebogen zur empirischen Untersuchung von Abwehrmechanismen (FEUA). Z
Psychosom Med Psychother, 70, 308-327.
Sell, C., Sachsse, U., Benecke, C. (2024). Differential Efficacy of Guided Imagery Psychotherapy
– Protocol for a Non-Inferiority Trial with Patient-Component Matching. Z Psychosom
Med Psychother, 70, 371-381.